Der Lakotaaustausch

Berichte und Impressionen

Ein Jugendaustausch zwischen Oglala-Lakota-Indianern in Amerika und Jugendlichen aus der Bundesrepublik Deutschland stellt sich vor.
Hinweis: Da der hier geschilderte Austausch schon längere Zeit her ist, wenden Sie sich bitte bei Fragen wegen aktuellen Projekten oder Fördermöglichkeiten beispielsweise an das Erlebniscamp, oder wenden Sie sich an einen Dritte-Welt-Laden in Ihrer Nähe. Vielen Dank!

Bernd Parusel: Zu Besuch bei den Urenkeln Sitting Bulls
Ein Jugendaustausch zwischen Oglala-Lakota-Indianern in Amerika und Jugendlichen aus der Bundesrepublik Deutschland stellt sich vor

Achim Riemann: "Indian time"
Erfahrungen mit "Indian time" auf der Suche nach Heuballen


Bernd Parusel: Zwischenwelten
"Gastfreundschaft (der Gastfamilie) war großartig. Obwohl wir uns anfangs nicht kannten, durfte ich bei ihnen tun, was ich wollte. (...) Ich lernte aber auch, was für Probleme indianische Menschen in der US-amerikanischen Gesellschaft haben können."


Bernd Parusel: Great faces - great places?
"Der weit verbreitete Rassismus in Süd-Dakota macht Lakota-IndianerInnen zu Gejagten im eigenen Land."

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Zu Besuch bei den Urenkeln Sitting Bulls

von Bernd Parusel

Seit zehn Jahren existiert ein deutsch-indianischer Jugendaustausch zwischen dem College der Oglala Lakota-Indianer auf der Reservation Pine Ridge in Süd-Dakota (USA) und der Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND-Jugend) in Deutschland. Seitdem besuchen sich jugendliche Lakota und Deutsche im Alter von 18 bis 26 Jahren gegenseitig und lernen voneinander über ihre Kultur, Geschichte und das Alltagsleben. In all diesen Jahren ist manche feste Freundschaft entstanden. Für uns Deutsche ist die nach wie vor überaus reiche Kultur der Lakota stets äußerst faszinierend, die Landschaft atemberaubend, die Art des Zusammenlebens der Menschen auf der Reservation erstaunlich geblieben. Für viele AustauschteilnehmerInnen gehören die Ereignisse und Erfahrungen, die sie auf Pine Ridge gemacht haben, zu den wichtigsten Abschnitten ihres Lebens.

Oft erreichen uns Anfragen von InteressentInnen, die wissen wollen, wie sich sich das heutige Leben auf einer Indianerreservation in Nordamerika vorzustellen haben. Die Bilder, die Deutsche von amerikanischen Indianern im Kopf haben, sind dabei oft verzerrt. Meist liegen sie irgendwo zwischen Karl May-Romantik und dem alten Klischee des “stolzen und naturverbundenen Kriegers". Dann wieder wird gefragt: “Leben die Indianer eigentlich noch traditionell?" Nun, in Zelten leben sie nicht mehr, und sie können auch nicht mehr mit den Bisonherden durch die Weiten der Prärie ziehen. Und doch leben sie nicht so, wie wir in Europa oder wie “normale" weiße US-Amerikaner. "Indianer leben eigentlich zwischen zwei Welten, und sie können weder ganz in die eine, noch ganz in die andere", meinte ein ehemaliger Austauschteilnehmer einmal treffend.

Ihre alte, traditionelle Welt existiert nur noch in Bruchstücken. Die schrittweise Besiedelung Amerikas durch europäische Einwanderer und die damit einhergehenden Landnahmen und Kriege haben die Indianer ihrer traditionellen Lebensgrundlagen beraubt. Mit der Ausrottung der Bison durch die Weißen verloren die Lakota eine ihrer wichtigsten Nahrungsquellen und auch spirituellen Bezugspunkte. Dazu werden auf Indianerland seit über 100 Jahren Bodenschätze abgebaut, was meist - etwa im Falle des Uranabbaus auf Pine Ridge - zu Umweltverschmutzung und zu Verseuchung des Trinkwassers führte. Darüberhinaus zwang die US-amerikanische Indianerpolitik die Lakota über viele Jahre, ihre Sprache, viele ihrer spirituellen Zeremonien und ihre Art des sozialen und politischen Zusammenlebens aufzugeben. Heute sind die Lakota dabei, diese Traditionen, die oft nur „im Untergrund“ überleben konnten, wieder zu praktizieren und so weit wie möglich zu fördern.

Aber auch die andere, neue Welt des “weißen Amerika", steht den Indianern nicht offen, und ist für sie auch nicht unbedingt attraktiv. Rassistische Benachteiligung oder gar offene Anfeindungen und Übergriffe sind etwa in Süd-Dakota keine Seltenheit. Zudem erscheinen einige Wirtschaftsweisen der heutigen westlichen Welt, etwa die industrielle Landwirtschaft, nicht erstrebenswert. Der “indianische Umgang" mit Land, Boden und Wasser ist damit nicht vereinbar, denn diese Ressourcen haben in der traditionellen Lakota-Philosophie nicht nur einen materiellen, sondern auch einen spirituellen Wert.

Doch obwohl die Lakota hin- und hergerissen sind zwischen zwei Welten, und obwohl sie gegen eine Vielzahl von Problemen kämpfen müssen, haben viele von ihnen nicht aufgegeben. „Neue Hoffnung auf alten Wegen“ könnte man die vielen Projekte und Initiativen beschreiben, die mittlerweile auf der Reservation zu finden sind. Eines davon ist „Anpetu Luta Otipi – Living in a Red Day“. Das Programm bietet Hilfe für alkohol- und drogenabhängige Jugendliche an – basierend auf Traditionen, Werten und Spiritualität der Lakota. Das Projekt kann einige Erfolge vorweisen und war sogar auf der EXPO 2000 in Hannover vertreten.

Auch Bisonzucht wird vermehrt wieder betrieben. Zur Wiederbelebung des Wissen und der Sprache der Lakota hat auch die Gründung des Oglala Lakota College in den 70er Jahren beigetragen. Seit seines Bestehens sind junge Lakota nicht mehr gezwungen, die Reservation zu verlassen, wenn sie eine qualifizierte Ausbildung erhalten wollen. Das College bietet Studiengänge und Abschlüsse in vielen Disziplinen, etwa Landwirtschaft, Management oder auch Lakota- Sprach- und Kulturstudien an. Es ist dezentral organisiert und verfügt über regionale Ausbildungszentren in allen neun Distrikten der Pine Ridge-Reservation. Eines davon, das College-Zentrum in Kyle, ist die Partnerorganisation des Deutsch-Lakota-Jugendaustausches.

Der November 2001 ist in den USA zum "American Indian Heritage Month" erklärt worden. Wir hoffen, daß die Ausrufung dieses Gedenkmonats helfen wird, das Interesse der Menschen in den USA und anderswo für die Geschichte und aktuellen Lebensumstände der nordamerikanischen Indianer zu wecken oder zu verstärken. Das James-F.-Byrnes-Institut in Stuttgart bietet aus diesem Anlaß drei Veranstaltungen an, die sich im weitesten Sinne mit “Native Americans" befassen. Auch der Deutsch-Lakota-Jugendaustausch wird gerne die Möglichkeit nutzen, in diesem Zusammenhang sich und die Erfahrungen seiner TeilnehmerInnen einem breiteren Publikum vorzustellen.


© Bernd Parusel


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Indian Time

von Achim Riemann

Es war der Tag, an dem wir Heu holten! Es war der Tag, an dem wir das Heu für das Zeremonienhaus [ein aus Lehm zu bauendes Gebäude] holen wollten. Nach der gewohnten Frühstücksprozedur stiegen wir in den Pick Up und fuhren los, um uns mit den anderen am Collage zu treffen, so dachte ich jedenfalls!
Doch statt nach links bogen wir nach rechts ab. "Where are we going?", fragte ich meinen Gastvater und der erwiderte, daß er nicht wisse, wo die Heuballen liegen - wir müßten erst einmal den Fahrer finden, der weiß, wo die Heuballen liegen. Ohne ihn würde nichts laufen!
Schon bald verließen wir die Straße nach Norden und bogen auf einen für die Reservation typischen Feldweg ein und hielten von da ab Ausschau nach einem Pick Up samt gesuchten Fahrer. Doch obwohl wir zahlreiche Gatter passierten und sogar bis zum Haus des "Ich weiß nicht, wo das Heu ist" fuhren, erblickten wir nur Rinder und die weite Prärie!
Nach weiteren zahlreichen Stahlgattern stießen wir auf die Straße, die von Osten kommend nach Kyle führt. Mein Gastvater hatte sich überlegt, als nächstes den Anhänger von seinem Schwiegervater abzuholen und dann weiterzusehen. Ich dachte nur bei mir "That's Indian Time", denn die anderen warteten nach westlicher Zeit schon über eine dreiviertel Stunde auf uns - oder auch nicht ...
Auf einmal bremst mein Gastvater mitten auf der Straße mit den Worten: "That's him!" Und los ging die Verfolgungsfahrt in Richtung Kyle, denn der Pick Up hatte keine Hupe. Am Parkoffice haben wir den Fahrer dann eingeholt, Mein Gastvater ließ sich den Weg zum Heu erklären.
Wir brachten dann, nachdem wir den Anhänger geholt hatte. zweimal eine volle Fuhre "nach Hause". Nach der ersten stellten wir so einerlei fest:
- Kurze Hosen sind sehr unpraktisch fürs Heu holen
- Handschuhe wären auch nicht schlecht
- "Oh, der Reifen ist wohl platt, wir müssen einen neuen besorgen."

© Achim Riemann 1994


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Zwischenwelten - auf der Reservation Pine Ridge

von Bernd Parusel

Bevor ich im Sommer 1999 mit der deutschen Austauschgruppe in Kyle ankam, hatte ich keine Vorstellung über das Leben auf einer Indianerreservation. Ich wußte kaum etwas über die Lakota, über ihre Traditionen und über ihre Spiritualität. Noch nicht einmal die Landschaft konnte ich mir ausmalen, und wenn mir jemand erzählt hätte, daß die Lakota in Zelten leben, so hätte ich es vermutlich geglaubt. Inzwischen ist das anders. Nach ein paar Tagen auf der Reservation hatte ich bereits eine Menge Dinge gelernt, ich machte neue Erfahrungen, bekam neue Ideen. Die Dörfer auf Pine Ridge unterscheiden sich stark von den Städten und Dörfern in Europa. Vor allem, wenn man gewohnt ist, in einer großen Stadt zu leben, kommt es einem merkwürdig vor, auf einmal in einem Ort zu sein, in dem es gerade mal zwei Cafés und zwei Läden gibt. Doch ich gewöhnte mich daran, und es gefiel mir. Was mich in den ersten Tagen am meisten überraschte und erfreute, war die Tatsache, daß die Familie, in der ich wohnte, von Anfang an Vertrauen zu mir hatte. Ihre Gastfreundschaft war großartig. Obwohl wir uns anfangs nicht kannten, durfte ich bei ihnen tun, was ich wollte. Wir unterhielten uns über die verschiedensten Dinge und wurden Freunde.

Ich lernte aber auch, was für Probleme indianische Menschen in der US-amerikanischen Gesellschaft haben können. Besonders entsetzt war ich, als unsere Gruppe den »Mount Rushmore« besuchte, den Ort, den die weißen AmerikanerInnen »Shrine of Democracy« nennen. Dieses Denkmal soll die BürgerInnen an ihre Geschichte und an angeblich demokratische Errungenschaften der Vereinigten Staaten erinnern. Niemanden jedoch erinnert es an die "Native Americans" und an das, was ihnen über die Jahrhunderte von Seiten der Weißen widerfahren ist und auch heute noch widerfährt. Der Mount Rushmore wurde nicht für die Indianer gemacht, sondern gegen sie: Er ist ein Fremdkörper im Herzen ihres Landes, den Black Hills.
Doch ich erfuhr noch mehr Dinge, die mich schockierten. So etwa, daß Teile der Pine Ridge Reservation für Schießübungen der Army mißbraucht wurden, daß indianisches Territorium durch die Förderung von Uran verseucht wurde, oder daß die Lakota im Lauf der Jahrzehnte um den Großteil ihres Landes gebracht wurden.
Es hat mich ausgesprochen positiv überrascht, zu bemerken, daß die Lakota trotz all dieser Probleme in der Lage sind, sich selbst, ihre Traditionen und ihre Kultur am Leben zu erhalten. Das Leben auf der Reservation muß anders sein, als in »normalen« amerikanischen Dörfern. Es gibt viel mehr dort zu erfahren und erleben als den sogenannten »American Way of Life«, den mensch überall finden kann: Die Landschaft der Badlands, die Kultur der Lakota, die Pow-Wows und viele andere Dinge mehr. Selbst die Art, wie die Lakota in und mit ihrem Land leben, ist ganz anders als bei uns. Die Philosophie unseres Systems basiert darauf, Profite zu machen und das Land und seine Menschen auszubeuten. In der Philosophie der Indianer geht es nicht um Ausbeutung, sondern alles Leben wird als gleichwertig betrachtet. In Bezug auf „Respekt“ und „Gleichheit“ können wir von den indigenen Völkern lernen.
AustauschstudentInnen, die sich nur ein paar Wochen auf der Reservation aufhalten, können nicht alle Geheimnisse entdecken, die dort existieren. Vielleicht sollten sie das auch gar nicht. Das, was ich sehen und erleben durfte, hat mich jedoch sehr beeindruckt. Ich habe eine wunderbare Zeit auf der Reservation verbracht.

© Bernd Parusel, Sommer 1999


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Great faces - great places?

Der weit verbreitete Rassismus in Süd-Dakota macht Lakota-IndianerInnen zu Gejagten im eigenen Land

von Bernd Parusel

Abstract: Vor mehr als 500 Jahren begann die Besiedelung Nordamerikas durch europäische Einwanderer. Im Zuge der Landnahme, begleitet von Vertragsbrüchen und Kriegen, wurden dabei die amerikanischen Ureinwohner ihrer Lebensgrundlage beraubt, verdrängt und getötet. Heute leben sie, die Indianer, zumeist auf Reservationen, die nur noch einen Bruchteil ihres ehemaligen Landes umfassen. Sie haben mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen. Besonders erniedrigend und auch gefährlich ist der Rassismus, dem sie vielerorts in den USA ausgesetzt sind. Das Beispiel der Oglala Lakota (auch: »Oglala Sioux«), die auf der Reservation Pine Ridge im heutigen US-Bundesstaat South Dakota leben, zeigt, dass es dabei nicht »nur« um rassistische Vorurteile der weißen Amerikaner gegenüber den Indianern geht, sondern auch um - oft tödliche - Gewalt.

Abstract:
More than 500 years ago European immigrants started to settle down in North America. During their take-over of the land, which came along with broken treaties and war, the Native American peoples got robbed the fundamental bases of their way of life, driven away and killed. In our days, most of the Indians live on reservations that do not cover more than a very little share of their former land. Besides, they still have to face a lot of problems. The most humiliating and dangerous one is racism. It threatens Indians in many parts of the United States. The example of the Oglala Lakota, („Oglala Sioux") who live on the Indian reservation of Pine Ridge in the state of South Dakota, shows that racism does not only involve racist prejudice by white Americans towards Indians, but also oftendeadly violence.

Jedes in South Dakota gemeldete Auto trägt ein Nummernschild, das mit dem Slogan "Great faces, great places" für die Schönheiten des US-Bundesstaats wirbt. Mit den great faces sind die vier riesigen Köpfe der US-Präsidenten George Washington, Thomas Jefferson, Abraham Lincoln und Theodore Roosevelt gemeint, die in den Berg Mount Rushmore gesprengt sind, und die jedes Jahr Scharen von Touristen anziehen. Zu den great places Süd-Dakotas dürften die Black Hills zählen, zu denen der Mount Rushmore gehört, ebenso wie die Badlands im Südwesten oder der Missouri im Osten. Kein Zweifel, South Dakota hat viele Sehenswürdigkeiten und landschaftliche Schönheiten.
Doch nicht alles, was in diesem Bundesstaat vor sich geht, ist so wunderbar, wie es der Slogan suggeriert. So haben viele weiße BürgerInnen South Dakotas eine sehr „spezielle" Vorstellung davon, wie ein great face auszusehen hat - es muss weißer Hautfarbe sein. Menschen, die nicht so aussehen, also beispielsweise IndianerInnen, die einem der Zweige der Lakota angehören, können davon berichten, was es bedeuten kann, nicht weiß, sondern „rot" zu sein. Viele haben rassistische Übergriffe erlebt. Übergriffe, die oft tödlich enden.

Rassismus gegenüber Indianern

Rassismus steht in Süd-Dakota im Kontext einer langen Tradition. Bereits zu der Zeit, als zum ersten Mal Weiße nach Nordamerika kamen, betrachteten die europäischen Pioniere die Ureinwohner als minderwertige und primitive Wilde, die der höheren weißen „Zivilisation" zu weichen hatten. Sie wurden ihres Landes beraubt, und viele wurden umgebracht. Der Satz „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer" aus dem Jahr 1868 machte seinen Urheber, US-General Sheridan, im weißen Amerika bekannt. Zeitweise wurden sogar Prämien auf indianische Skalpe ausgesetzt. Indianer wurden zu Gejagten im eigenen Land.
Heute leben sie zumeist auf Reservationen, die nur noch einen Bruchteil ihres ursprünglichen Gebietes umfassen. Der Rest des Landes befindet sich - zu einem großen Teil widerrechtlich - in den Händen der Nachfahren ehemals eingewanderter Europäer, der heutigen US-AmerikanerInnen. Dieses Unrecht ist heute aus den Köpfen vieler US-Amerikaner verdrängt. Der alte anti-indianische Rassismus dagegen ist nicht verschwunden. Im Gegenteil - IndianerInnen werden nach wie vor erniedrigt und verfolgt. Heute noch zeugen einige der kleinen Border Towns, der Grenzorte in unmittelbarer Nähe der Reservation Pine Ridge der Oglala Lakota, von den „alten Zeiten" des Rassismus im „Wilden Westen". Im Grenzort Scenic etwa befinden sich Saloons, an denen Schilder angebracht sind, die einst darauf hinwiesen, dass IndianerInnen keinen Zutritt zu den Lokalen hatten: „Indians not allowed" stand dort geschrieben. Die Verneinung „not" wurde irgendwann übermalt, so dass dort heute „Indians allowed" zu lesen ist - als muss man extra darauf hinweisen, dass Menschen indianischen Ursprungs Menschen mit gleichen Rechten sind.

Gewalt an den Reservatsgrenzen

In Border Towns wie Scenic kommt es auch immer wieder zu Gewaltakten gegenüber ReservationsbewohnerInnen. Aber auch Weißen kann es passieren, angepöbelt und beleidigt zu werden, wenn sie in Begleitung von indianischen Freunden dort unterwegs sind. Rassistische Vorurteile gegenüber den Lakota sind allgegenwärtig. Sie gelten als „Wilde" oder Trunkenbolde - und das bleibt nicht ohne Auswirkungen: Football-Spiele zwischen indianischen und weißen Teams müssen immer wieder abgebrochen werden - weil sich die weißen Fans in rassistischen Beschimpfungen ergehen. Und nicht nur das: Viele BewohnerInnen der Indianerreservation Pine Ridge haben Verwandte, die schon einmal oder mehrmals von Weißen angegriffen wurden. Hinzu kommt, dass manchmal nicht einmal die politischen Repräsentanten US-Amerikas einen Hehl aus ihren indianerfeindlichen Anschauungen machen: Der gegenwärtige Gouverneur des Bundesstaates South Dakota, William Janklow, ist ein Beispiel hierfür. Als es in den siebziger Jahren auf der Pine Ridge-Reservation zu Auseinandersetzungen zwischen weißen Siedlern, dem FBI und dem American Indian Movement (AIM) kam, erklärte Janklow in alter General-Sheridan-Manier: „Die einzige Möglichkeit, das Indianerproblem in South Dakota zu lösen, besteht darin, den AIM-Führern ein Gewehr an den Kopf zu halten und abzudrücken." Dieser Ausspruch brachte ihm den Ruf als „Indian Fighter" ein. Auch heute noch macht er ihm alle Ehre - etwa indem er sich für die Übertragung indianischen Vertragslandes am Missouri River an den Bundesstaat Süd-Dakota einsetzt.
Im näheren Umfeld der Pine Ridge-Reservation fallen gegenwärtig vor allem zwei Brennpunkte rassistischer Gewalt auf: Zum einen der Grenzort Whiteclay, der heute offiziell zum Bundesstaat Nebraska gehört, und den nur wenige Schritte von der Reservationshauptstadt Pine Ridge trennen; zum anderen die Stadt Rapid City, die zweitgrößte South Dakotas, die nur einen Steinwurf von den Great Faces des Mount Rushmore entfernt liegt. Beide befinden sich auf indianischem Vertragsland.
Whiteclay ist ein typischer Grenzort. Er besteht aus vielleicht einem Dutzend Häuser, die alle entlang der Hauptstraße aufgereiht sind. Darunter befinden sich einige Läden, in denen Alkohol verkauft wird. Das Bier- und Schnapsangebot zieht Menschen aus dem Umland in das kleine Nest, darunter auch Lakota-IndianerInnen aus Pine Ridge, wo Alkohol seit langer Zeit verboten ist. Der Alkoholverkauf, verbunden mit einer Präsenz rassistischer und indianerfeindlicher Gewalttäter hat oft zu Übergriffen geführt: In den letzten Jahren sind in und um Whiteclay etwa acht Lakota ermordet worden, zumeist Bewohner der Reservation Pine Ridge. Der Hergang der tödlichen Gewaltakte wurde von den Ermittlern Nebraskas jedoch in keinem Fall genau untersucht, geschweige denn öffentlich gemacht. "Polizeiberichte fehlen, und die Behörden von Nebraska weigern sich, mit uns zusammenzuarbeiten", sagt ein Vertreter des Stammesrats der Oglala Lakota aus Pine Ridge, von wo die meisten Opfer stammen.
Nachdem im Jahr 1999 erneut zwei Lakota ermordet wurden, haben indianische AktivistInnen im Juli desselben Jahres unmittelbar bei Whiteclay ein Protestcamp errichtet. Das Lager, „Camp Justice" genannt, erinnert an die Opfer der rassistischen Gewalt und hilft den AktivistInnen, ihre Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Neben der Untersuchung der Mordfälle setzen sie sich unter anderem für ein Verbot des Alkoholverkaufs in der direkten Umgebung der Reservation ein. Lakota aus Pine Ridge organisierten zudem Gedenkmärsche zu Ehren der Toten. In einer Zeitung veröffentlichten sie Fotos der Ermordeten: "Wir vergessen Euch nicht".

Brennpunkt Rapid City

Demonstrationen gegen Rassismus fanden seit 1998 auch mehrmals in Rapid City statt, dem zweiten Brennpunkt der Gewalt. Die Stadt entstand Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge des gold rush, als weiße Goldsucher zu Tausenden widerrechtlich in das den Lakota vertraglich zugesicherte Gebiet um die Black Hills strömten. Die Ansiedlung der Goldsucher wuchs rapide - daher bezieht die Stadt ihren etwas skurrilen Namen. Die Nähe zu den Black Hills, einer Gebirgsgegend mit vielerlei Erholungsmöglichkeiten, macht Rapid City heute zu einem touristischen Anziehungspunkt hauptsächlich weißer AmerikanerInnen. Reisende, die den Mount Rushmore und die dort in den Berg gesprengten great faces besuchen wollen, machen häufig Station in der „schnellen Stadt". Außerdem leben und arbeiten dort viele Lakota - vor allem in saisonalen Jobs im Tourismussektor.
Durch Rapid City fließt der Rapid Creek. Der Fluss und seine Uferpromenaden dienen den BewohnerInnen der Stadt als Naherholungszone. Daneben wohnen Obdachlose unter den Brücken und an den Ufern des Flusses - darunter auch Indianer. Auch hier sind seit Mai 1998 mindestens acht Lakota ums Leben gekommen. Die Todesursachen sind umstritten - klar ist lediglich, wie die Leichen gefunden wurden: Im Flussbett, mit dem Gesicht nach unten.
Die Todesfälle vom Creek haben Ängste unter den in Rapid ansässigen Lakota geschürt. Sie sind davon überzeugt, dass die Toten ermordet wurden, und nicht einfach in alkoholisiertem Zustand in den Fluss gefallen und ertrunken sind, wie die Polizei behauptet. Die Ordnungshüter betrachten nach den Worten des Polizeichefs von Rapid City, Thomas L. Hennies, die Todesserie zwar als „auffällig". Dennoch geht Hennies nicht von Morden aus. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte, und auch Zeugen würden nicht existieren.

Die Polizei leugnet die Gewalt

In vielen Punkten widersprechen sich die Angaben der Polizei auf der einen, sowie die Informationen von Lakota aus Pine Ridge, BewohnerInnen von Rapid City und Angehörigen der Toten auf der anderen Seite. Während Thomas Hennies keine physischen Beweise für Gewalt erkennen will, berichtet die Familie eines der am Rapid Creek ums Leben gekommenen Lakota, Timothy B., davon, dass er nackt im Flussbett gefunden worden war, und dass Abdrücke von Seilen an seinem Hals erkennbar waren. Außerdem war sein Körper übersät von Verbrennungen durch auf der Haut ausgedrückte Zigarettenstummel. Und während die Polizei IndianerInnen gegenüber erklärte, B. habe hohe Mengen Alkohol im Blut gehabt, wissen diese, dass er nicht trank, sondern an den Traditionen der Lakota orientiert lebte.
Doch nicht nur im Fall B. machen Police Department und Lakota-Indianer unterschiedliche Angaben. Auch die Beteuerungen von Polizeichef Hennies, Ermittlungsberichte über die Rapid Creek-Zwischenfälle würden stets den Angehörigen der Toten vorgelegt und mit ihnen diskutiert, weisen in der Stadt ansässige Lakota zurück. Die Angehörigen würden seitens der Polizei nicht über die Untersuchungen informiert. Vielmehr versuche sie offensichtlich, die Todesursachen zu verschleiern und die Morde als Unfälle zu tarnen und zu bagatellisieren. Auch der Direktor des Alkohol- und Drogenprogramms der Stadt Rapid City widerspricht den Äußerungen der Polizei zu den Todesfällen vom Creek: "Wir gehen davon aus, dass jemand dafür verantwortlich ist, auch wenn wir keine konkreten Beweise haben. Was da passiert, kann kein Zufall sein."
Aus Sicht der Lakota nimmt die Polizei ihren Auftrag, alle EinwohnerInnen der Stadt - also auch indianische - zu schützen, nicht ernst. Einige haben deswegen eine Gruppe gebildet, die unabhängig von der Polizei den Rapid Creek und seine Uferwege zur Verhinderung weiterer Gewalt regelmäßig patrouilliert. Nicht ohne Berechtigung, wie die bisherigen Erfahrungen der Gruppe zeigen: Bereits in der ersten Nacht ihrer Kontrolltätigkeit, berichten Mitglieder, hätten sie einen Lakota in den Büschen am Fluss gefunden. Er war in Panik, durchgefroren, und seine Kleidung war nass. Ein Mitglied der indianischen Patrouille, Frank K., wurde selbst bereits in eine Schlägerei mit weißen Rassisten verwickelt, die ihn und zwei weitere Lakota attackierten.
Unklar ist bis jetzt, wer genau die Toten vom Rapid Creek auf dem Gewissen hat, und ob es sich bei den potentiellen Tätern um rassistische Einzeltäter oder um Banden handelt. Zwar ist offensichtlich, dass sich viele weiße BürgerInnen der Stadt allein durch die Anwesenheit von Indianern provoziert fühlen, und dass einige davon auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. Viele Lakota sind jedoch davon überzeugt, dass die Auseinandersetzungen zwischen IndianerInnen und Weißen in vielen Fällen nicht spontan entstehen, sondern dass es neben dem „alltäglichen Rassismus" auch organisierte Banden - neuerdings auch Skinhead-Banden - gibt, die für einen Großteil der rassistischen Gewalttaten verantwortlich sind. Frank K. identifizierte die Personen, die ihn und seine Begleiter angriffen, als Skinheads, und auch andere Lakota berichten von solchen Gruppen, die in der Rapid Creek-Zone aktiv sind. Mehrmals hätten sie indianische Kinder durch die Straßen der Stadt gejagt. Polizeichef Hennies dagegen bestreitet die Präsenz von Skinhead-Banden in Rapid City. "Das ist nichts weiter als ein Gerücht", erklärte er auf Anfrage schriftlich. "Es gibt dafür keine glaubhaften Zeugen."
Die Polizei versucht offensichtlich, jeglichen Rassismusverdacht zu zerstreuen und die Todesfälle vom Creek als Unfälle zu deklarieren. Die Lakota-Bevölkerung der Stadt hat deshalb kein Vertrauen in die öffentlichen Ordnungskräfte und bemüht sich, weitere Gewalt durch eigene Patrouillen am Creek zu verhindern, Beweise zu sammeln und diese öffentlich zu machen.

Zukunft ohne Rassismus?
Frank K. fragt sich außerdem nach den tieferen Ursachen des Rassismus in den Stadt. Er weist darauf hin, dass Rapid City auf indianischem Vertragsland liegt, das sich die Weißen widerrechtlich angeeignet haben. "Wer immer diese Morde begeht", sagt K., „es ist ihm peinlich, hier zu sein, auf unserem Land. Sie [die Weißen] wollen hier keine Indianer sehen. ... Wir erinnern sie daran, dass dies unser Land ist."
Mehrmals organisierten Lakota Gedenkmärsche durch Rapid City. Sowohl die indianischen als auch die weißen EinwohnerInnen riefen sie damit auf, dem Rassismus gemeinsam entgegenzutreten. Einige haben den Wunsch nicht aufgegeben, dass auch nach mehr als fünfhundert Jahren noch eine neue Phase des Zusammenlebens zwischen Weißen und Lakota beginnen kann - ohne Rassismus.

Quellen:
Interviews mit Betroffenen; Zeitungen („Rapid City Journal" und „Indian Country Today"); Flugblätter zu Gedenk- und Protestmärschen; Artikel „Harvest of Death" von Jon Lurie auf //www.dickshovel.com/lsa27.html

Biographische Notiz:
Bernd Parusel studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er war an der Organisation eines Deutsch-Lakota-Jugendaustauschs beteiligt. 1999 und im Sommer 2001 hielt er sich jeweils mehrere Wochen lang auf der Reservation Pine Ridge der Oglala Lakota in South Dakota (USA) auf.


Infokasten:

- "Indianer": Sammelbegriff für die verschiedenen indigenen Völker des amerikanischen Kontinents. Die Indianer nennen sich im Englischen „Indians". Seit Bestehen der USA existiert auch der Begriff „Native Americans". Damit wird der Unterschied zu eingewandertenAmerikanern und deren Nachfahren betont. Die Lakota sind eines der indigenen Völker der USA. Sie beschreiben ihre Gesellschaft als "Lakota-Nation". Zur "Lakota-Nation" gehören mehrere Untergruppen. Eine davon sind die Oglala Lakota, die auf der Reservation Pine Ridge im US-Bundesstaat South Dakota leben.

- "Reservation": "Reservationen" oder "Reservate" heißen die Treuhandgebiete, die vom ursprünglichen Land der nordamerikanischen Indianer heute noch übrig sind (engl.: reservation), und auf denen die Indianer bedingte Selbstbestimmungsrechte ausüben, z.B. im Bereich Verwaltung, Betrieb eigener Schulen, einer Polizeibehörde sowie eines eigenen Justizsystems. Vor allem in finanzieller Hinsicht sind die Reservationen jedoch von der US-Bundesbehörde "Bureau of Indian Affairs - BIA" abhängig. Diese regelt teilweise auch Fragen der Landnutzung und der sozialen Versorgung auf den Reservationen.

- "indianisches Vertragsland": Mit fast allen indianischen Nationen schlossen die britischen Einwanderer, sowie später die US-Regierung, in der Vergangenheit Verträge mit völkerrechtlichem Status ab. Für die Lakota ist der sogenannte Fort-Laramie-Vertrag von 1868 von besonderer Bedeutung. Er sichert ihnen weite Teile des Gebiets des heutigen US-Bundesstaates South Dakota zur "ausschließlichen und ungestörten Nutzung" zu. Dieser Vertrag wurde jedoch - wie viele andere auch - von der US-Regierung gebrochen. Die Lakota kämpfen zwar immer noch für die Anerkennung des Vertrags, faktisch sind ihnen jedoch nur die heute noch existenten - deutlich kleineren - Reservationen geblieben. Diese Reservationen und das Land, was ihnen gemäß der Verträge darüber hinaus noch zusteht, wird als "indianisches Vertragsland" bezeichnet.

- "American Indian Movement - AIM": Diese indianische Bewegung gegen Rassismus, Landenteignung und Zerstörung indianischer Kultur gründete sich in den 60er Jahren in der Stadt Minneapolis, Minnesota. Die AIM-AktivistInnen sind meist in indianischer Spiritualität verwurzelt, geben indianischen BürgerInnen Unterstützung in Rechtssachen und kämpfen u.a. für die Rückgewinnung ihres Landes sowie die Aufrechterhaltung bzw. Ausweitung der indianischen Souveränität auf den Reservationen. Daneben gründete AIM indianische „Überlebensschulen" und Einrichtungen der Gesundheitsversorgung. Für die "Wiederherstellung der Würde der indianischen Nationen", so AIM, spielt die Bewegung eine herausragende Rolle.

© Bernd Parusel


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